Die globale Seite der “Schweizer Schoggi”

Bald steht Ostern vor der Tür und die Regale sind randvoll gefüllt mit Osterhasen in allen Grössen, Formen und Farben. Doch nicht nur die Osterfeiertage sind sehr international, sondern auch unsere “Schweizer Schoggi”. Was braucht es eigentlich alles, bis wir die fertige Schokolade in den Händen halten? Wir haben uns auf die Suche nach Antworten gemacht und unter anderem bei der kleinen Schokoladenmanufaktur Garçoa spannende Einblicke bekommen.

Olivia Grubenmann

Donnerstag, 11. April 2019 / 17.30

Wie “schweizerisch” ist die Schweizer Schokolade wirklich?

Viele Schweizer*innen sind stolz auf die weltweit bekannte Schweizer Schokolade. Sie gehört zum Kulturgut, doch dieses Produkt könnte ohne diverse globale Akteure gar nicht existieren. Denn einmal abgesehen von der Milch für die Milchschokolade stammen die meisten Zutaten aus aller Welt. Wie kommt das Binnenland Schweiz zu einem Kulturgut aus derart tropischen Zutaten? Für unsere Schweizer Schokolade importieren wir jährlich etwa 44’984 Tonnen Kakaobohnen. Das ist das Gewicht von 450 Millionen Schokoladentafeln zusammen! Eine unvorstellbar grosse Zahl. Gemäss Chocosuisse macht dabei die Elfenbeinküste mit einem Anteil von etwa 42% der Kakaoernte den grössten Teil aus. Und auch der Zucker stammt meistens nicht aus der Schweiz.

Die Schweizer Schoggi in China, Kanada und Australien

Die Schweizer Schokolade ist nicht nur bei der Herstellung auf internationale Akteure angewiesen, sondern auch bei der Distribution, denn von den 190’517 Tonnen Schokolade, die in der Schweiz produziert werden, wird gerade mal etwa ein Drittel im Inland verkauft. Der Rest wird in alle Welt exportiert. Mit einem durchschnittlichen Schokoladenkonsum von 11.1 kg pro Person und Jahr schlägt Deutschland die Schweiz, die auf durchschnittlich 10.3 kg pro Person und Jahr kommt. Dicht dahinter folgen Estland, UK und Finnland. So überrascht es nicht, dass Deutschland, UK und Kanada zu den wichtigsten Exportländern für Schweizer Schokolade gehören.

Auf Schoggisafari bei Garçoa

Der Weg der Schokolade: Vom Kakaoproduzenten bis zu dir

Die Schokoladenindustrie ist sehr komplex. Wie funktionieren die internationalen Handelsketten der Schokoladenproduktion? Wie stellt man sicher, dass alle Menschen entlang der Wertschöpfungskette faire Bedingungen haben? Und warum sind kleine Produzenten für den Welthandel wichtig? Um ein wenig Klarheit über das komplexe Netzwerk an Kakaoproduzenten, Lieferanten, Exporteuren und Manufakturen zu bekommen, haben wir uns auf  eine Schoggi-Safari bei Garçoa in Zürich begeben. Dort hat uns Fränzi Akert, die Mitbegründerin der Bean-To-Bar Schokoladenmanufaktur, ihren Betrieb gezeigt und uns in die Welt der Schokolade eingeführt.


Fränzi, was bedeutet die Globalisierung für kleine Produzenten wie Garçoa?

Fränzi Akert von Garçoa, Bild von Joanna Wierig

Schokolade ist quasi ein Produkt der Globalisierung. Denn ohne internationalen Handel gäbe es keine Schokolade in der Schweiz. Kakao wächst nur in tropischen Gebieten und hat seinen Ursprung in Südamerika. Ohne Handel und Migration wäre der Kakao nicht in Westafrika oder Asien gelandet. Schokolade ist aber auch ein Lebensmittel oder Genussmittel, das die verschiedensten Lebenssituationen, Menschen und Welten miteinander verbindet. Mit der Herstellung von Schokolade geht auch eine gewisse Verantwortung einher. Dementsprechend wollen wir bei Garçoa die Schokolade, den Kakao und die Menschen dahinter wertschätzen.


Schweizer*innen sind enorm stolz auf ihre Schweizer Schoggi. Inwiefern ist die Schoggi jedoch ein internationales Produkt?

Stellt man sich Schokolade aus Schweizer Zutaten vor, dann kommt man nicht weit. Klassischerweise wird (zumindest in der Deutschschweiz) Milchschokolade unter "Schweizer Schoggi" verstanden. Ich fühle mich persönlich da dem frankophonen Verständnis von Schokolade näher: In klassischer Milchschokolade stammt die Milch aus der Schweiz. Kakao allerdings wächst nur unter bestimmten klimatischen Bedingungen, welche in der Schweiz höchstens die Masoala-Halle oder das Tropenhaus erfüllen. Neben Kakao ist Zucker eine wichtige Zutat für Schokolade: entweder importierter Rohrzucker oder heimischer Rübenzucker. Wir bei Garçoa verwenden Rohzucker, da dieser klimafreundlicher ist, und Kakao. Beides sind Zutaten, die nicht aus der Schweiz stammen. Unsere Manufaktur, das Herz von Garçoa, ist in Wollishofen. Insofern sind in unseren Schokoladen schon etwas „Schweizer“ Zutaten drin, wenn man denn so will.


Curimana Ernte, Bild von Garçoa

Warum sind in unserer globalisierten Welt Transparenz und Fairness im Handel so wichtig?

Garçoa sind Transparenz und Fairness im Handel wichtig, weil sie nicht selbstverständlich sind. Kakaobohnen werden an der Börse gehandelt und ein Container Kakaobohnen kann den Besitzer über ein Dutzend mal wechseln während seiner Überfahrt auf dem Ozean. Kakaobohnen aus dem Regenwald im Amazonas oder auch von der Farm in Ghana nach Wollishofen zu bringen, ist eine logistische Herausforderung. Daher ist es uns wichtig, dass klar ist, wer dabei wie viel verdient. Das betrifft natürlich die Produzenten, aber auch die Agronom*innen und Exporteure, die es in der gesamten Lieferkette braucht.


Wie legt ihr bei Garçoa die Standards fest und wie überprüft ihr deren Einhaltung?

Wir verwenden einerseits Rohrohrzucker und Kakaobohnen aus biologisch zertifiziertem Anbau und aus fairem Handel. Darüber hinaus ist für uns zentral, dass wir das Umfeld und die involvierten Personen in den einzelnen Ländern persönlich kennen. Wir haben durch unsere früheren Tätigkeiten als Agronomen viel Zeit in Peru, Ghana und auch in Indien verbracht. Daraus sind die Handelsketten entstanden, mit denen wir heute arbeiten. Wir arbeiten langfristig mit unseren Partnern zusammen und wollen diese Beziehung ausbauen und pflegen. Daher sind wir in konstantem Kontakt mit den Produzent*innen oder mit den Produzentenorganisationen und Exporteur*innen.


Bild von Garçoa: Curimana-Ernte

Wie könnte man auch die grossen Produzenten zu mehr Transparenz in der gesamten Wertschöpfungskette verpflichten?

Am besten wohl über den eigenen Konsumentenentscheid und auch über Nach- und Hinterfragen. Es gibt ein zunehmendes Interesse der Öffentlichkeit an Transparenz, das sich sicher positiv auswirkt. Zudem gibt es auch Initiativen wie vor einigen Jahren von der Erklärung von Bern (heute PublicEye) oder von der „Swiss Platform for sustainable Cocoa“. Auf alle Fälle gibt es sicher noch grosses Potenzial.


Wie können wir Einzelpersonen etwas bewirken, um allen Personen entlang der Wertschöpfungskette faire Arbeitsbedingungen zu garantieren?

Als Einzelpersonen können wir direkt entscheiden, welche Produkte wir essen möchten und welche nicht. Kaufe ich Labelprodukte, kaufe ich industriell hergestellte Produkte oder Produkte aus gewerblicher Manufaktur? Mit Nachfragen kann man sein Interesse bekunden. Wenn eine Schokolade unter einem Franken kostet, sollte man auf jeden Fall hellhörig werden.

Garçoa in India: Cocoa husks, Bild von Garçoa

Welchen Einfluss haben viele kleine Produzenten auf den Welthandel?

Im Kakaosektor herrscht eine sehr einseitige Situation und zwar gibt es weltweit viele Kakaobauern und -bäuerinnen, die durchschnittlich eine Fläche von 1 Hektare Kakao bewirtschaften und zwischen 600-2000 kg Kakaobohnen davon ernten. Die gesamte Kakaobohnenproduktion liegt bei über 3.5 Mio Tonnen Kakaobohnen pro Jahr. Das wären dann also ganz grob gerechnet mindestens 3.5 Mio Kakaoproduzent*innen. Demgegenüber stehen eine Handvoll global tätiger Agrarkonzerne, die Kakaobohnen einkaufen und zu Schokoladenmasse verarbeiten, sogenannter Kuvertüre. Dann gibt es wieder eine Vielzahl von Confiserien, welche die Kakaomasse zu verschiedenen Schokoladenkreationen weiterverarbeiten. Die Agrarkonzerne, welche Kakaobohnen handeln und verarbeiten, haben somit eine sehr grosse Macht. Wenn es weltweit mehr kleine Kakaobohnenverarbeiter*innen gäbe, dann könnte ein diversifizierter Kakaobohnenmarkt entstehen und die monopolartige Position von Agrarkonzernen würde eingeschränkt. Aus meiner Sicht ist somit die Bean-to-Bar-Bewegung eine Möglichkeit, etwas an der heutigen Situation im Kakaosektor zu ändern. Dazu braucht es aber noch ganz viel mehr kleine Betriebe, die Kakao verarbeiten.

#stayvocal

Nächste Woche werfen wir nochmals einen Blick zurück auf die Klimastreiks. Was ist aus den Forderungen der Schüler*innen geworden? Welche Massnahmen werden in der Politik diskutiert? Und wie geht es nun weiter?

Olivia Grubenmann
Globate Moderatorin

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